50 Jahre Atari: Pong – und sonst?

Am 27. Juni 1972 wird das erste Videospiel-Unternehmen gegründet: Atari. Es ist über Jahre der Motor der Branche, aber in den Neunzigern versiegt das Glück.

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(Bild: Shutterstock.com/Anderson Reis)

Lesezeit: 27 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Atari. Das Videospiel hat viele Väter, doch dürfte man nur ein Unternehmen nennen, das die Branche begründet hat, würde die Wahl auf diesen Namen fallen. Niemand hat die Frühzeit der Bildschirmspiele mehr geprägt. Erst durch seine Münzautomaten, dann durch Spielkonsolen, dann durch Heimcomputer.

Und das ab 1972, Jahre vor Apple und Microsoft. Auch Atari hat zwei Gründer. Einen, der im Vordergrund steht, und der Mann im Hintergrund – Nolan Bushnell und Ted Dabney. Während seines Studiums verfällt Bushnell einem der ersten Computerspiele, Spacewar. Die Weltraum-Ballerei für (mindestens) zwei Spieler entsteht ursprünglich auf einer PDP-1. In seiner Freizeit gelingt es ihm, auch dank des drastischen Preisverfalls integrierter Schaltkreise, eine einfache Version des Spiels in einen Fernseher zu stecken. Zu jener Zeit ist er beim Tonband-Hersteller Ampex angestellt, mithilfe seiner Kollegen Ted Dabney und Larry Bryan gründet er eine informelle Partnerschaft namens Syzygy (ein Begriff aus der Astronomie), um das Gerät fertigzustellen und zu vermarkten.

Mit dem kleinen Automaten-Hersteller Nutting Associates finden sie einen Produzenten. Der stellt Bushnell als Chef-Ingenieur an. Ted Dabney folgt. Als Bushnell und Dabney klar wird, dass sie Bryans Expertise als Programmierer nicht benötigen, wird er wieder ausgeladen.

Die Geschichte von Atari (71 Bilder)

Computer Space von 1971, der erste kommerzielle Videospiel-Automat (Computerspielemuseum Berlin 2011)
(Bild: René Meyer )

"Computer Space" ist 1971 das erste kommerzielle Arcade-Spiel. Zwar erscheint bereits zwei Monate zuvor das ähnliche "Galaxy Game", aber nur als Einzelstück in einer Cafeteria der Stanford-Universität. Doch es ist kein großer Erfolg. Es ist zu kompliziert. Bushnell nimmt Kontakt mit dem Automaten-Riesen Bally auf. Die bieten 24.000 Dollar für die Entwicklung eines Flippers und eines Videospiels, verlangen aber, dass die Verbindung zu Nutting gelöst wird.

So kündigen Nolan Bushnell und Ted Dabney bei Nutting und gründen eine eigene Firma. 250 Dollar steuern beide zu. Am 9. Juni 1972 unterschreiben sie zusammen mit ihren Ehefrauen die Gründungsurkunde für eine nun formelle Unternehmung namens Syzygy und lassen sie über eine Kanzlei beim Staat Kalifornien einreichen. Das böse Erwachen: Der Name ist bereits belegt. Eigentlich hätten sie gern ihre Initialen verwendet, doch B&D heißen schon Black & Decker, und D&B heißen schon Dun & Bradstreet. So kommen drei Begriffe aus dem Brettspiel Go in die engere Wahl: Hane, Sente und Atari. Ted Dabney zufolge reichen sie alle drei Namen beim California Secretary of State ein. Und das entscheidet sich für: Atari. Am 27. Juni 1972 ist Atari, Inc. offiziell gegründet.

Für das neu geplante Bildschirmspiel holen sie von Ampex den Ingenieur Al Acorn. Als Mitarbeiter Nummer 3 soll er zunächst ein sehr einfaches Spiel entwerfen, als Probe. Bushnell denkt an das Ping-Pong-Spiel, das er erst wenige Tage zuvor an der Odyssey-Spielkonsole auf der Hausmesse von Magnavox gesehen hat, und beschreibt die Aufgabe. Al Alcorn legt sich ins Zeug; und am Ende stellt sich heraus, dass das einfache "Pong" sehr viel Spaß macht. So bleibt es dabei. Das Probespiel wird das fertige Spiel.

Pong, das erste Produkt von Atari, 1972 (Computerspielemuseum Berlin 2011)

(Bild: René Meyer)

Der Ingenieur Wolfgang Nake, dessen Steckenpferd es ist, die frühen Atari-Automaten nachzubauen, schwärmt von der Eleganz von Pong: "Die Odyssey ist ein Meisterwerk der analogen Schaltung, realisiert mit einem Minimum an Bauelementen. Und Pong ist sozusagen die digitalisierte Variante der Odyssey. Das technisch Interessanteste am originalen Pong-Automaten ist die Kunst einer Schaltungstechnik, die mit erstaunlich wenigen einfachen logischen Bauelementen performante Spielefeatures realisiert. Das sind zum Beispiel die schrittweise erhöhte Ballgeschwindigkeit und die Möglichkeit, geschickt mit dem Schläger dem Ball eine spieltaktisch günstige Flugrichtung zu geben. Das macht das Spiel gegenüber seinen Vorgängern und Nachfolgern bemerkenswert."

Am 29. November 1972 wird der Prototyp des Pong-Automaten in einer Kneipe in Sunnyvale aufstellt, Andy Capp's. Die Legende besagt, dass zwei Tage später ein Mitarbeiter der Kneipe erbost anruft und meint, das Gerät sei kaputt. Al Alcorn fährt hin und erkennt die Ursache: Das Gehäuse ist voller eingeworfener Münzen, die einen Kurzschluss verursachen. Der Automat macht ein Vielfaches der Umsätze eines Flippers. Zugleich muss Bushnell von Bally erfahren, dass sie keinerlei Interesse an dem Videospiel haben. Beides führt zu dem Entschluss: Atari produziert die Automaten selbst.

Atari mietet eine ausgediente Rollschuhbahn, bekommt einen Kredit über 50.000 Dollar und später eine Finanzspritze durch einen Investor. Und stellt zahlreiche junge langhaarige Freaks an, die in T-Shirts und nicht selten barfuß Pong-Automaten zusammenbauen. Statt teurer Monitore kauft man einfache Fernseher und verwendet nur die Bildröhre.

Einer der ersten Angestellten ist der erst 17 Jahre alte Steve Jobs, der mit Nolan Bushnell zum ersten und zum letzten Mal einen Vorgesetzten hat. (Und der später Apple auch deswegen Apple nennt, um im Telefonbuch vor Atari zu stehen.) Mitgründer Dabney hingegen wird von Bushnell bereits nach einigen Monaten aus der Firma gedrängt und gibt seine Anteile für 250.000 Dollar ab.

Am Anfang ist Atari in ständigen Geldnöten. Das ändert sich mit dem zweiten Automaten, dem Rennspiel "Gran Trak", mit einem Lenkrad. Spielideen oder deren Umsetzungen kommen nicht selten von den jungen Angestellten, die häufig einen technischen Hintergrund haben. Etwa "Breakout", das Bushnell gefällt, aber zu viele Schaltkreise benötigt. Er verspricht Jobs einen Bonus von 100 Dollar für jeden eingesparten Chip. Steve Wozniak, der spätere zweite Apple-Gründer, den Jobs nachts in die Fertigungshalle schmuggelt, damit er gratis "Gran Trak" spielen kann, macht die ganze Arbeit. Jobs bekommt einen Bonus von 5000 Dollar, erzählt Wozniak aber, er habe nur 700 Dollar bekommen und gibt ihm davon die Hälfte. Erst Jahre später erfährt Wozniak die Wahrheit.

1974 will Bushnell "Pong" als Heimkonsole umsetzen und findet Sears als Vertriebspartner. Es ist ein augenblicklicher Erfolg und zieht eine Reihe ähnlicher Geräte nach sich. Super Pong, Ultra Pong, Hockey Pong, Pinball und viele Nachahmer, zumal General Intrument ab 1976 einen "Pong-Chip" anbietet, einen Schaltkreis, der das Spiel in mehreren Varianten enthält. Damit lassen sich ohne tieferes technisches Wissen Konsolen herstellen. Das passiert millionenfach, bis in die DDR, die 1000 dieser Chips für ihre eigene Pong-Konsole importiert.

Mit den Einnahmen aus den Spielautomaten, den Erlösen der Heimkonsolen und weiteren Finanzspritzen steht Atari gut da. Doch die Zeit der Heimgeräte mit fest eingestanzten Spielen geht vorbei. Der neueste Schrei sind Konsolen mit Wechselmodulen, wie das Fairchild Channel F (das in Deutschland unter anderem als Saba Videoplay vertrieben wird).

Doch für die Entwicklung und Produktion einer solchen Konsole, die besser ist als alles, was auf dem Markt existiert, braucht Atari sehr viel Geld. Bushnell überlegt, Atari in eine Aktiengesellschaft zu verwandeln, sucht dann doch einen Investor. Und findet nach mehreren Absagen mit Warner jemanden, der die Firma komplett übernehmen will: Warner-Chef Steve Ross sieht mit eigenen Augen, wie seine Kinder in Disneyland von einem Rennspiel-Automaten von Atari gefangen sind.

Am 1. Oktober 1976 kauft Warner Atari, zu einem Preis von 28 Millionen Dollar. Die gleiche Firma, die vier Jahre zuvor mit einem Startkapital von 500 Dollar gegründet wurde.

Das Meisterstück von Atari erscheint 1977: eine Spielkonsole mit Wechselmodulen. Das Atari Video Computer System VCS. Günstig und leistungsfähig. Angetrieben durch eine Abwandlung des MOS 6502 (der auch in zahllosen anderen Konsolen und Rechnern eingebaut ist), 160x200 Punkte, 16 gleichzeitige Farben, 128 Byte RAM.

Atari VCS, später Atari 2600, Ataris erste Konsole mit Wechselmodulen, von 1977

(Bild: René Meyer)

Später bekommt sie die Bezeichnung 2600 (von Anfang an die interne Modellnummer), um sie von den Folgemodellen 5200 und 7800 zu unterscheiden. Sie wird preiswert mit Hinblick auf einen kurzen Produktzyklus entwickelt, verkauft sich aber am Ende rund 15 Jahre, bis in die Neunziger, genährt durch eine preiswertere Junior-Version ab 1984. Am Ende sind es 30 Millionen Stück, mehr als die erste Xbox von Microsoft oder der GameCube von Nintendo Jahre später. Ein Erfolgsrezept ist das Umsetzen der beliebten Spielhallen-Hits. Der eigenen, aber auch der anderen, etwa "Pac-Man" von Namco, "Space Invaders" von Taito oder "Donkey Kong" von Nintendo.

Die Nähe zur Filmwelt führt zu attraktiven Lizenzen. 1979 erscheint mit "Superman" das wohl erste Spiel, das auf einem Film basiert. Einem von Warner, natürlich. Mit "Pelé Soccer" kommt 1981 das erste Spiel mit einem Promi auf dem Cover. Atari gründet überall auf der Welt Clubs und organisiert Meisterschaften. Die Öffnung des Marktes für andere Entwickler ist zunächst nicht freiwillig: Das erste reine Software-Studio für Videospiele, Activision, wird von enttäuschten Ex-Mitarbeitern gegründet.

Nicht unumstritten ist die Entscheidung, die Spiele auch für fremde Systeme umzusetzen. So erscheinen etwa "Centipede", aber auch (das von Nintendo lizenzierte) "Donkey Kong" unter dem Label Atarisoft sogar für den damals neuen IBM PC.

Zum Erfolg der Konsole trägt das Design der Automaten und später Spielepackungen bei. Große klare Schriften, knallbunte Grafiken, die sich an der psychedelischen Plakat-Kunst des San Franciscos der Sechzigerjahre orientiert. Pop Art, wie sie bereits von Platten-Covern bekannt sind.

Mit dafür verantwortlich ist der Designer George Opperman. Er wird schon früh für ein Logo beauftragt – und liefert eines der bekanntesten Symbole der Geschichte. Zur Intention gibt es verschiedene Geschichten; glaubhaft ist, dass es einerseits ein A darstellen und andererseits an das Spielfeld von "Pong" erinnern soll. Zwei Spieler gegenüber und ein Netz dazwischen. Dass es an den Berg Fujiyama erinnert, ist vermutlich nur Zufall; zumindest erhält das Logo bei Atari den Spitznamen Fuji.

Opperman hat zu dieser Zeit eine eigene Agentur und erhält für das Logo, das 50 Jahre später immer noch verwendet wird, 3000 Dollar. Er wechselt später ganz zu Atari, gestaltet Artworks für die Spielautomaten und wird, da acht Jahre älter als Bushnell, auch zu dessen Mentor.

Ernest Cline, der Autor des (von Spielberg verfilmten) Romans "Ready Player One" erklärt im Vorwort des prächtigen Bildbands "Art of Atari": "Auch wenn die krude Grafik des Programms nie so farbenfroh und realistisch war, wie die Illustrationen versprachen, wertete das Cover die Spielerfahrung auf beinahe magische Weise auf. Es schlug die Brücke zwischen den groben Pixeln, die über den Bildschirm tanzten, und den fantastischen Bildern vor unserem inneren Auge."

Durch den Verkauf an Warner bekommt Bushnell einen Vorgesetzten: Ray Kassar, der zuvor 25 Jahre bei einem Socken-Hersteller arbeitet, nichts von Videospielen versteht und den Designern der Spiele den gleichen Stellenwert einräumt wie den Arbeitern, die am Fließband die Geräte zusammensetzen. Seine förmliche Art ist das Ende der lockeren (und teilweise sexistischen) Unternehmenskultur von Atari. Manche kommen damit nicht zurecht. Vor allem Bushnell nicht. Er verlässt Atari 1978 (um zunächst eine Fast-Food-Kette zu gründen).

Aber Kassar versteht etwas von Marketing und Unternehmungsführung. In den Folgejahren explodieren die Umsätze von Atari. Bis es zum großen Crash kommt. Der Markt wird überschwemmt mit Konsolen, die nicht miteinander kompatibel sind. Und vor allem mit viel zu vielen und oftmals schlechten Spielen. Gleichzeitig floriert der Heimcomputer-Markt. Geräte wie der Commodore 64 lassen komplexere Spiele zu und sind flexibler, können auch für die Arbeit und Kreatives eingesetzt werden. Beispielhaft für den Zusammenbruch des Marktes ist das Videospiel "E.T.", das hastig innerhalb von fünf Wochen zusammengeschustert wird.

In manchen Aufzählungen gilt es gar als "schlechtestes Spiel aller Zeiten". Von den fünf Millionen produzierten Modulen werden nur 1,5 Millionen verkauft. Das berühmte Verscharren von 700.000 nicht verkauften Modulen in einer Mülldeponie in New Mexiko ist ein Sinnbild der Krise, die später Nintendo mit seiner NES-Konsole und qualitativ herausragenden Spielen auflösen kann.

Atari ist nicht nur ein Pionier bei Spielkonsolen, sondern steigt früh in den Markt für Heimcomputer ein. Bereits Ende 1979 erscheinen der Atari 800 und sein kleiner Bruder Atari 400, die ältere Geräte wie den Apple II hinter sich lassen. Der spätere Hauptkonkurrent Commodore 64 erscheint erst drei Jahre später. So kann sich der Atari 800 dank Titeln wie "Boulder Dash", "M.U.L.E" und "Star Raiders" zunächst als Spielemaschine etablieren. Und er wird geschickt in den Bildungsbereich eingeführt, durch Lernsoftware und besondere Angebote für Lehreinrichtungen.

Atari 400 von 1979 (Deutsche Gamestage Berlin 2011)

(Bild: René Meyer)

Doch trotz mehrfacher Überarbeitungen, die in einer ganzen Familie von Modellen wie dem 600XL und dem 800XL münden, haben es die Atari-Computer in den Achtzigerjahren nicht leicht. Konkurrenz kommt nicht nur vom leistungsfähigeren C64 mit seinen raffinierten Grafik- und Sound-Chips, sondern auch von preiswerteren Systemen wie dem ZX Spectrum. Ein Preiskampf beginnt, bei dem sich der Atari gegenüber dem C64 als das günstigere System positioniert. Das ist vorwiegend in der DDR und im ganzen Ostblock entscheidend, die jede Westmark teuer eintauschen müssen.

Der Journalist Heiko Weckbrodt (Oiger.de), aufgewachsen in der DDR, erinnert sich an seine Motive, einen Atari 800XL zu kaufen: "Ich hatte zunächst einen ZX81 ins Auge gefasst. Freunde in Ungarn hatten mich auf ihrem ZX Spectrum spielen und programmieren lassen. Für die Farbvariante reichte mein Westgeld aber zunächst nicht. Der Verkäufer im Intershop empfahl mir, auf den Atari XL zu warten. Der sei zu einem etwas höheren Preis ungleich besser. Als ich die technischen Daten sah, war ich überzeugt. Der C64 wäre noch mal teurer gewesen, und ich musste schon für den Atari einen Geldumtausch 1 zu 5 im Westen organisieren und finanzieren. Den Kauf habe ich nicht bereut."

So kommt es, dass das größte Computer-Treffen der DDR, in Böhlen bei Leipzig, in erster Linie ein Atari-Treffen ist. Die Staatsführung, westlicher Rechentechnik gegenüber sehr aufgeschlossen, lässt sogar das Gründen von Atari-Clubs zu, etwa in Berlin. Die 8-Bit-Szene rund um den Atari ist noch heute sehr aktiv, was im deutschsprachigen Raum vor allem dem bereits 1985 gegründeten ABBUC-Verein (Atari Bit Byter User Club) zu verdanken ist.

1982 erscheint der Nachfolger des VCS, Atari 5200. Technisch basiert die Konsole auf den Computern von Atari. Im Innern regiert ein 6502-Prozessor über 16 Kilobyte RAM und eine Auflösung von 320x200 Punkten. Doch sie erscheint mitten im Crash der Videospiele-Industrie und muss sich gegen eine Vielzahl anderer Systeme behaupten, zum Beispiel dem ColecoVision. Und Heimcomputern wie dem neuen Commodore 64, aber auch den Modellen aus dem eigenen Haus. Zudem ist sie nicht abwärtskompatibel.

Das größte Problem ist hausgemacht: Die Controller haben eine schlechte Qualität und zentrieren sich nicht automatisch. Das macht die Steuerung zur Qual. Zudem haben sie andere Anschlüsse, sodass sich bisheriges Zubehör nicht mehr nutzen lässt. Am Ende verkauft sie sich enttäuschende eine Million Mal; in Europa wird sie gar nicht erst veröffentlicht. Mit einer weiteren Konsole, dem Atari 7800, sollen die Fehler korrigiert werden. Sie ist einerseits kompatibel zum 2600, aber technisch aufgewertet, um mit Geräten wie dem ColecoVision und Heimcomputern mithalten zu können. Sie soll sich mit Zubehör wie Tastatur und Diskettenlaufwerk sogar in einen Computer verwandeln können.

Atari 5200 (E3 2011)

(Bild: René Meyer)

Doch der Zeitpunkt 1984 ist ungünstig: Warner will sich von der Konsolen- und Computer-Abteilung von Atari trennen, und wenige Tage nach dem Verkaufsstart der Konsole übernimmt Jack Tramiel die Sparte. Tramiel, der in den Fünfzigern Commodore gründet und 30 Jahre leitet, bis er von einem Investor aus seinem eigenen Unternehmen gedrängt wird. Tramiel, der mit Konsolen nichts anfangen kann und der sich lieber in Sachen Heimcomputern mit Commodore messen will. Er stoppt die Konsolen-Produktion und greift das Atari 7800 erst zwei Jahre später wieder auf, als Nintendo mit dem NES und Sega mit dem Master System den Konsolen-Markt bestimmen. Das ist zu spät. Nach Europa kommt das 7800 gar erst 1990 und gilt bereits mit Erscheinen als "retro". Das versprochene Zubehör fällt unter den Tisch.

Mitte der Achtzigerjahre sind die 8-Bit-Computer von Commodore und Atari nicht mehr zeitgemäß. IBM stellt bereits 1984 den AT mit 16-Bit-Prozessor vor; auch der Macintosh arbeitet mit dem 16/32-Bit-Prozessor 68000 von Motorola.

Rettung verspricht das kleine Unternehmen Amiga Corporation rund um den Tüftler Jay Miner, der die Sound- und Grafikchips für das Atari 2600 und die Heimcomputer entworfen hat. Es arbeitet an einem fortschrittlichen System mit dem 68000. Allerdings fehlt das Geld für die Produktion. Atari schießt 500.000 Dollar dazu, und als nach dem Verkauf von Atari Tramiel Druck macht, treibt er Amiga in die Hände von Commodore. Aus den Entwürfen wird der Commodore Amiga, zunächst das teure und erfolglose Modell 1000, 1987 das erfolgreiche Modell 500.

Tramiel gibt nicht auf und stampft innerhalb von Monaten ein ähnliches System aus dem Boden. Der Atari ST (das Kürzel meint Sixteen/Thirtytwo, 16/32). Er verzaubert mit der Bedienoberfläche GEM, die sehr an den Macintosh erinnert, kann aber nicht auf Wunderchips setzen, wie sie Jay Miner entwickelt: Vom Klang und vor allem von der Grafik ist der Amiga eine ganze Strecke fortschrittlicher. Dafür ist der ST preiswerter; und da sich die Fertigstellung des Amiga verzögert, ist er sogar eher da.

Für Torsten Othmer, der 1986 mit einem Freund in Aurich einen ST-Club ins Leben ruft, sind Preis und Verfügbarkeit die Gründe, sich gegen Commodore zu entscheiden: "Ich hatte meinen Atari schon im Herbst 1985 in Wilhelmshafen gekauft, für 2990 Mark, mit Schwarzweiß-Monitor und Diskettenlaufwerk, zusammengespart von meiner Ausbildungsvergütung. Der Amiga 1000 kostete 1986 mit Farbmonitor 5500 DM und war erst Mitte des Jahres 1986 in größeren Stückzahlen verfügbar. Der allseits bekannte Amiga 500 konnte mit dem Atari 1040 ST preislich konkurrieren, kam aber erst Mitte 1987 auf den Markt."

In Sachen Grafik und Sound kann der ST nicht mit dem Amiga mithalten. Er etabliert sich aber dennoch als preiswerte Alternative zu Apple im Bereich DTP; dank Programmen wie Calamus und einem seinerzeit sehr günstigen Laserdrucker. Und vor allem dem Standard-Monitor SM124, der sich mit seiner papierweißen Beschichtung, der Bildwiederholrate von 72 Hz und der hohen Auflösung von 640 × 400 Punkten besonders gut zum Layouten zum Beispiel von Zeitschriften eignet.

Auch bei Musikern ist der ST beliebt, dank der eingebauten MIDI-Schnittstelle und Programmen wie Cubase und Notator SL. Zum ersten Mal können auch Hobby-Musiker die Ausgaben eines Synthesizers in einen Computer einlesen, als Notensatz anzeigen, speichern und neu arrangieren; bequem per Maus und einer grafischen Bedienoberfläche. Einige der größten Musiker, wie Madonna, Depeche Mode und Queen, setzen auf Atari.

Aus dem ST wächst seine ganze Familie von Modellen wie dem STE (Enhanced) und Nachfolgern wie dem TT und dem Falcon030, zum Teil mit bereits integrierter Festplatte. Für den TT gibt es passend für DTP spezielle 19-Zoll-Monitore mit 1280 [×] 960 Punkten.

Doch nach 1990 schafft es Atari immer weniger, sich gegen den immer preiswerter und immer stärker werdenden PC durchzusetzen: Die 386er sind mit Windows 3.0 ausgestattet und lassen sich leicht erweitern – mit SVGA, Soundblaster und großen Festplatten. Der PC steht für die Zukunft. Atari steht (genau wie Commodore mit dem Amiga) für das vergangene Zeitalter des Heimcomputers.

1989 überrascht Atari mit einer tragbaren Konsole, dem Handheld Lynx. Entwickelt wird es von einem Team um Robert J. Mical und David Needle, die bereits beim Amiga mitwirken (und später beim 3DO). Es schlägt den gleichzeitig angekündigten Game Boy technisch durch einen beleuchteten Farbbildschirm, hat aber dadurch einen hohen Batterie-Verbrauch. Zudem ist es klobiger und deutlich teurer. Die Spiele orientieren sich an den Atari-Automaten, etwa die Umsetzung von "Gauntlet"; auch "Lemmings" erscheint für das Gerät. 1991 kommt eine etwas schmalere Version zum halben Preis. Mit drei Millionen verkauften Exemplaren ist der Lynx kein Flop; allerdings verkauft sich das Gegenstück von Sega, der Game Gear, dreimal so oft. Ganz zu schweigen vom Game Boy mit seinen 120 Millionen.

Als letzte Konsole von Atari erscheint 1993 der Jaguar. Er wird von einem zunächst unabhängigen Team ehemaliger Sinclair-Entwickler entworfen und basiert auf einem komplexen Arrangement aus einem 32-Bit-Chip-System vorwiegend für den Sound und einem 64-Bit-Chip-System für die Grafik. Ihnen wird der mittlerweile in die Jahre gekommene und als Steuer-Chip degradierte Motorola 68000 zur Seite gestellt.

Atari Lynx (Gamescom 2013)

(Bild: René Meyer)

Damit wird sie vollmundig als 64-Bit-System angepriesen. In der Praxis erweist sich das ungewöhnliche und schwer zu programmierende Arrangement an Prozessoren als Pferdefuß. Der Amiga und das Mega Drive haben ebenfalls den 68000 als Hauptprozessor, und Entwickler machen sich nicht die Mühe, bei der Umsetzung auf den Jaguar die neuen (Tom & Jerry genannten) Systeme auszureizen.

Hinzu kommt die große Konkurrenz durch die neuen CD-Konsolen Anfang der Neunzigerjahre. CDTV, CDi, 3DO, später der Sega Saturn und die PlayStation. Zwar reicht Atari ein CD-Laufwerk als Zubehör nach, aber dafür erscheinen in erster Linie müde Umsetzungen von Spielen wie "Myst".

Der Jaguar besiegelt das Ende von Atari. Schätzungsweise 250.000 Geräte werden weltweit verkauft – ein kolossaler Flop. Heute ist der Jaguar ein begehrtes Sammlerstück und beschäftigt eine kleine Fangemeinde. Sie trifft sich einmal im Jahr zum European Atari Jaguar Festival in Korschenbroich, dem ejagfest. Dort sieht man nicht nur Spiele von früher. Organisator Björn Baranski sagt: "Heute darf jeder für die letzte echte Konsole von Atari entwickeln. Das sorgt für die regelmäßige Veröffentlichung von Homebrew-Spielen bis in die Gegenwart. Der Jaguar ist mit seinem Multi-Prozessor-Design nicht leicht zu programmieren; wenn es aber gelingt, zeigt sich seine Leistungsfähigkeit besonders im 2D-Bereich."

Centipede (E3 2011)

(Bild: René Meyer)

Der Misserfolg von Falcon, Lynx und Jaguar lässt Atari aufgeben. Seit Mitte der Neunzigerjahre gibt es das ursprüngliche Unternehmen nicht mehr. Nur die Marke ist geblieben; und sie wechselt seitdem immer wieder Besitzer. Zunächst kommt es 1996 zu einer seltsamen Fusion mit dem kurzlebigen Festplatten-Hersteller JT Storage. Der verkauft wenige Monate vor seiner Auflösung, 1998, die Marken-Rechte an Hasbro. Der Spielwaren-Hersteller veröffentlicht seit einigen Jahren unter dem Label Hasbro Interactive Software-Versionen seiner Brettspiele wie "Monopoly" und "Risiko" und ringt um neue Inhalte. Die kommen nun durch fragwürdige 3D-Versionen von VCS-Klassikern wie "Centipede" und "Breakout". Und gar dem Ur-Spiel "Pong".

2001 verkauft Hasbro seine Interactive-Sparte samt den Atari-Rechten an den französischen Publisher Infogrames. Der nutzt die Marke Atari zunächst als Label und nennt sich 2009 schließlich in Atari um. Eher aus der Not heraus: das Unternehmen hat schon länger Schwierigkeiten, die zum Verkauf mehrerer Studios wie Reflections ("Driver") an Ubisoft und Shiny ("Enter the Matrix") an Foundation 9 führen. Es hilft nichts. 2013 muss Atari Insolvenz anmelden, kann sich aber dank Investoren noch einmal retten.

Seitdem probiert man mal dies und mal jenes. Man versucht sich an Free-to-Play- und Smartphone-Spielen. Kündigt 2021 an, wieder hochwertige Vollpreis-Spiele zu entwickeln, verzettelt sich mit einer Kryptowährung und träumt von NFTs. Und übernimmt vor wenigen Wochen die Spiele-Enzyklopädie Mobygames.

Seinen Wurzeln bleibt Atari allerdings treu – eine freundliche Umschreibung dafür, dass die 40 Jahre alten Spiele immer wieder in neue Gewänder gesteckt und verkauft werden. Am besten gelingt es mit der Flashback-Familie. 2004 erscheint das erste Modell, eine preiswerte Mini-Konsole mit 20 eingebauten Spielen. Optisch dem Atari 7800 nachempfunden, obwohl nur fünf der Spiele für das 7800 sind. Sie enttäuscht, da sie keine Emulationen auf der Basis der originalen Hardware ist, sondern schlechte Nachprogrammierungen bieten. Mit der zweiten Version beseitigt Atari viele der Ärgernisse. Sie ist weitestgehend kompatibel zu den Original-ROMs, preiswerter und enthält 40 Spiele. Und auch die originalen Controller können angeschlossen werden. Im Laufe der Jahre kommen immer mehr Flashback-Geräte, auch tragbare.

2017 kündigt Atari überraschend eine neue Konsole an. Eine etwas seltsame Kombination aus Flashback und Multimedia-PC. VCS soll sie heißen, wie das erste Modell von 1977. Finanziert wird sie zum Teil durch Crowdfunding. Nach mehrfachen Verschiebungen wird die Konsole im Dezember 2020 tatsächlich an Vorbesteller verschickt und ist mittlerweile regulär erhältlich.

Atari Flashback im Betrieb

(Bild: René Meyer)

Gleichzeitig kündigt das Label AtariXP zunächst drei Spiele für die originale VCS-Konsole auf Steckmodul an, die damals nicht oder nur in kleiner Auflage auf den Markt gekommen sind, aber bereits als Teil der Flashback-Veröffentlichungen zu haben sind: "Saboteur", das der "E.T."-Programmierer Howard Scott Warshaw 1983 entwickelt, aber das damals nicht veröffentlicht wird. "Yar's Return", das als Nachfolger von "Yar's Revenge" ebenfalls zunächst Warshaw zugeschrieben wird – bis Atari herausfindet, dass es sich um ein Homebrew-Spiel handelt. Und "Aquaventure", von dem Atari im März 2022 öffentlichkeitswirksam den Entwickler sucht.

Kaum eine Branche ist so unberechenbar wie digitale Spiele. Studios kommen und gehen, werden geschluckt, verschwinden. Die Pioniere der Siebziger- und Achtzigerjahre, die sich immer noch behaupten, kann man an einer Hand aufzählen. Viele Namen sind vergessen: Infocom, Microprose, Ocean, Spectrum Holobyte. Von vielen anderen gibt es nur noch den Markennamen, eine leere Hülle, wie Commodore oder Origin. Auch Atari wird immer wieder totgesagt und taucht trotzdem immer wieder auf. Vielleicht, weil der Name noch immer so strahlt. Vielleicht, weil man beim Spielen von "Pong" spürt, dass hier die Anfänge des Videospiels liegen. Und natürlich, weil Atari im Gegensatz zu Commodore für Inhalte steht, für Software, die noch heute unterhält.

Dass sich die Spiele von Atari seit ihren Klassikern nie weiterentwickelt haben, ist Fluch und Segen zugleich. Nintendo kann "Super Mario" und "Zelda" immer wieder neu erfinden. Doch die simplen Atari-Spiele Spiele sind so klar, dass Nachfolger (und Klone) keine Verbesserung sind. Man braucht kein "Pac-Man" oder "Breakout" oder "Pong" in 3D. Die Originale machen heute genauso viel Spaß wie früher.

(dahe)